ETH-Forschende haben in einem k¨¹nstlich hergestellten Material eine neue Art von Magnetismus nachgewiesen. Das Material wird dadurch ferromagnetisch, dass Elektronen ihre Bewegungsenergie minimieren.
In K¨¹rze
- Forschende der ETH haben eine neue Art von Ferromagnetismus nachgewiesen, die sich vom herk?mmlichen K¨¹hlschrankmagneten unterscheidet.
- Bei diesem ?kinetischen Magnetismus? wird das Material dadurch magnetisch, dass die Bewegungsenergie der Elektronen minimiert ist, wenn sich ihre magnetischen Momente parallel ausrichten.
- Um diesen Effekt nachzuweisen, stellten die Forschenden ein k¨¹nstliches Material mit grosser Gitterkonstante her und k¨¹hlten es auf eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt ab.
Damit ein Magnet an der K¨¹hlschrankt¨¹r haftet, m¨¹ssen in seinem Inneren mehrere physikalische Effekte perfekt zusammenspielen. Die magnetischen Momente seiner Elektronen zeigen in dieselbe Richtung, auch wenn kein ?usseres Magnetfeld sie dazu zwingt. Dies wiederum passiert durch die so genannte Austauschwechselwirkung, also eine Kombination aus elektrostatischer Abstossung zwischen Elektronen und quantenmechanischer Effekte der Elektronen-Spins, die ihrerseits f¨¹r die magnetischen Momente verantwortlich sind. So lautet die g?ngige Erkl?rung daf¨¹r, dass bestimmte Materialien wie Eisen oder Nickel ferromagnetisch sind, also permanent magnetisch, solange man sie nicht ¨¹ber eine bestimmte Temperatur erhitzt.
An der ETH Z¨¹rich haben nun Forschende um Ata? Imamo?lu vom Institut f¨¹r Quantenelektronik und Eugene Demler vom Institut f¨¹r theoretische Physik in einem k¨¹nstlich produzierten Material eine neue Art von Ferromagnetismus nachgewiesen, bei dem die Ausrichtung der magnetischen Momente ganz anders zustande kommt. Ihre Ergebnisse haben sie soeben im Fachjournal Nature ver?ffentlicht.
K¨¹nstliches Material mit Elektronenf¨¹llung
In Imamo?lus Labor stellten Doktorand Livio Ciorciaro, Postdoktorand Tomasz Smolenski und Kolleginnen ein besonderes Material her, indem sie hauchd¨¹nne Lagen von zwei verschiedenen Halbleitermaterialien (Molybd?n-Diselenid und Wolframsulfid) aufeinanderlegten. Durch die verschiedenen Gitterkonstanten der beiden Materialien, also die Abst?nde zwischen ihren Atomen, ergibt sich dabei in der Kontaktebene ein zweidimensionales periodisches Potenzial mit grosser Gitterkonstante (dreissigmal gr?sser als die der beiden Halbleiter), das durch Anlegen einer elektrischen Spannung mit Elektronen aufgef¨¹llt werden kann. ?Solche Moir¨¦-Materialien haben in den letzten Jahren grosses Interesse hervorgerufen, da man mit ihnen Quanteneffekte von stark wechselwirkenden Elektronen in Festk?rpermaterialien sehr gut untersuchen kann?, sagt Imamo?lu. ??ber ihre magnetischen Eigenschaften aber war bisher wenig bekannt?.
Um diese magnetischen Eigenschaften zu untersuchen, massen Imamo?lu und seine Mitarbeitenden, ob das Moir¨¦-Material bei einer bestimmten Elektronenf¨¹llung paramagnetisch war, die magnetischen Momente also ungeordnet waren, oder aber ferromagnetisch. Dazu beleuchteten sie das Material mit Laserlicht und massen, wie stark das Licht f¨¹r verschiedene Polarisierungen reflektiert wurde. Die Polarisierung gibt an, in welche Richtung das elektromagnetische Feld des Laserlichts schwingt, und je nach Ausrichtung der magnetischen Momente ¨C und damit der Elektronen-Spins ¨C reflektiert das Material eine Polarisierung st?rker als die andere. Aus dieser Differenz kann dann berechnet werden, ob die Spins alle in dieselbe oder in verschiedene Richtungen zeigen, woraus sich wiederum die Magnetisierung ergibt.
Schlagender Hinweis
Indem die Physiker:innen die Spannung schrittweise erh?hten, f¨¹llten sie das Material mit Elektronen und massen jeweils die Magnetisierung. Bis zu einer F¨¹llung von genau einem Elektron pro Moir¨¦-Gitterplatz (auch als Mott-Isolator bezeichnet) blieb das Material paramagnetisch. Als die Forschenden mehr Elektronen in das Gitter f¨¹llten, passierte Unerwartetes: Das Material verhielt sich pl?tzlich ?hnlich wie ein Ferromagnet.
?Das war ein schlagender Hinweis auf eine neue Art von Magnetismus, die durch die Austauschwechselwirkung nicht erkl?rt werden kann?, sagt Imamo?lu. Denn wenn die Austauschwechselwirkung f¨¹r den Magnetismus verantwortlich w?re, w¨¹rde dieser schon mit weniger Elektronen im Gitter auftreten. Das pl?tzliche Einsetzen liess also auf einen anderen Effekt schliessen.
Kinetischer Magnetismus
Eugene Demler, in Zusammenarbeit mit Postdoktorand Ivan Morera, hatte schliesslich die entscheidende Idee: Es k?nnte sich um einen Mechanismus handeln, den der japanische Physiker Yosuke Nagaoka bereits 1966 theoretisch vorhergesagt hatte. Dabei minimieren die Elektronen durch parallele Ausrichtung der Spins ihre kinetische Energie (Bewegungsenergie), die viel gr?sser als die Austauschenergie ist. Im Experiment der ETH-Forschenden passiert dies, sobald im Moir¨¦-Material mehr als ein Elektron pro Gitterplatz vorhanden ist. Dadurch k?nnen sich jeweils zwei Elektronen zu so genannten Doublons zusammentun. Die kinetische Energie ist dann minimiert, wenn sich die Doublons durch quantenmechanisches Tunneln im gesamten Gitter ausbreiten k?nnen. Das wiederum geht aber nur, wenn die einzelnen Elektronen im Gitter ihre Spins ferromagnetisch ausrichten, da sonst quantenmechanische ?berlagerungseffekte gest?rt werden, welche die freie Ausbreitung der Doublons erm?glichen.
?Bislang wurden solche Mechanismen f¨¹r kinetischen Magnetismus nur in Modellsystemen nachgewiesen, die beispielsweise aus vier Quantenpunkten bestehen?, sagt Imamo?lu, ?aber noch nie in ausgedehnten Festk?rpersystemen wie unserem.?
In n?chster Zeit m?chte er die Parameter des Moir¨¦-Gitters ver?ndern, um zu untersuchen, ob der Ferromagnetismus auch bei h?heren Temperaturen erhalten bleibt; im jetzigen Experiment musste das Material noch auf ein Zehntel Grad ¨¹ber dem absoluten Nullpunkt abgek¨¹hlt werden.
Literaturhinweis
Ciorciaro L, Smolenski T, Morera I, et al. Kinetic Magnetism in Triangular Moire Materials, Nature (2023), doi: externe Seite10.1038/s41586-023-06633-0